Mönchengladbach
Der Ökonom Herbert Schaaff sprach vor dem Wissenschaftlichen Verein darüber, welche Stärken und Schwächen eine bedürfnisorientierte Ökonomie hat.
Von Angela Wilms-Adrians
Den Titel seines Vortrags „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug“ hat Herbert Schaaff vom Philosophen Epikur übernommen. Auf Einladung des Wissenschaftlichen Vereins sprach der Ökonom im Haus Erholung zum Thema „Bedürfnisse“. Schaaff ist Honorarprofessor für Personalmanagement an der Hochschule Niederrhein sowie Geschäftsführer, Personal- und Arbeitsdirektor des Rohr-Herstellers Vallourec Deutschland.
Zum Thema „Bedürfnisse“ sei seit der Antike schon alles gedacht, doch vieles verschüttet worden, sagte Schaaff. Er sprach von einer „Archäologie zur Freisetzung von Ansätzen“. Im interaktiven Part bat er das Publikum um spontane Antworten. Demnach hatte über die Hälfte der Anwesenden in der Vergangenheit eigene Bedürfnisse reflektiert und ein Teil von ihnen das Leben entsprechend verändert. Die Mehrheit war überzeugt, Bedürfnisse seien unbegrenzt. Als Merkmale guten Lebens wurden unter anderem Gesundheit, Liebe, Zeit und stabile Sozialgefüge genannt.
Schaaff stellte mit Blick auf die gestiegene Lebenserwartung und den gesunkenen Analphabetismus die Grundthese „Früher war alles schlechter“ auf. „Wir sind tendenziell auf einem gutem Weg. Materiell geht es uns gut und besser als früher, aber es ist keine höhere Zufriedenheit eingetreten“, sagte der Referent. In der Erfüllungsspirale von Wünschen halte das Glücksgefühl über Konsum nicht lange vor. „Was man braucht, wünscht, haben will, unterliegt gesellschaftlichen Diskussionen und gemeinsamen Wertungen“, sagte Schaaff. Er nannte das Steigerungsprinzip als bestimmend für ein Wirtschaftssystem, das ohne Massenkonsum nicht funktioniere. Die ökologische Tragfähigkeit aber sei bedenklich.
Im historischen Überblick siedelte der Gast den Beginn des Massenkonsums in Deutschland in den 1970er Jahren an. „Was heute ist, ist außergewöhnlich und damit veränderbar“, sagte Schaaff zur Notwendigkeit zukunftsorientierter und nachhaltiger Ideen. Die Jäger- und Sammlergesellschaft mit geringer Produktivität, ohne Geld und Hierarchie wäre für 95 Prozent der Menschheit bestimmend gewesen. Steigende Arbeitsteilung mit intensiver Produktivität und unbegrenzter Befriedigung von Bedürfnissen habe in der Konsequenz zu hohen Umweltproblemen geführt.
Schaaff stellte zum Ende seines Vortrags einige Thesen auf: Bedürfnisse sind ähnlich und begrenzt, die Mittel zur Bedürfnisbefriedigung aber unbegrenzt. Individuelle Bedürfnisse sollten mit Klugheit und Sensibilität reflektiert und priorisiert werden. eine Reichtumsobergrenze sei eine gesellschaftliche Regelung möglich, die vermutlich den Neidkonsum reduzieren würde. Bis heute gebe es jedoch keine Theorie und Praxiserfahrung mit einer Schrumpfungsökonomie. Eine mehrheitliche Akzeptanz sei höchstens längerfristig zu erwarten. Weltweit sei sie schwer vermittelbar, da die Mehrzahl der Ökonomien „auf dem Pfad der nachholenden Produktions-Konsumptions-Kapitalismus-Entwicklung“ sei.