Ludolf Kolsdorf und Jörg Wittenberg – Wie ein Verein die Forschungswelt nach Gladbach holt – Wissenschaftlicher Verein Mönchengladbach

Mönchengladbach · Der Vorsitzende und der Schriftführer erzählen über die Ausrichtung ihres Wissenschaftlichen Vereins, seine Mitglieder und Referenten wie Alfred Brehm. Der Verein ist einer der ältesten der Stadt.

Engagieren sich ehrenamtlich im Vorstand ihres Wissenschaftlichen Vereins: Schriftführer Jörg Wittenberg (l.) und Vorsitzender Ludolf Kolsdorf.

Foto: Angela Pontzen

Herr Kolsdorf, Sie sind ehemaliger Lehrer. Lag es da nahe, dass Sie Mitglied des Wissenschaftlichen Vereins wurden?

Ludolf Kolsdorf Das lag zumindest nicht fern. Ich bin beigetreten im Jahr 2000, das heißt, ich war 20 Jahre in Mönchengladbach und habe immer mal wieder etwas über den Wissenschaftlichen Verein gelesen, bin aber nicht beigetreten. Beigetreten bin ich letztlich, parallel auch dem Museumsverein, weil ich dachte, wir können nicht über den Niedergang des Bürgertums ständig schimpfen, ohne etwas fürs Bürgertum zu tun. Außerdem habe ich Freude am Wissen, und dieses zu vermitteln, das war ein Hauptgrund für meinen Beitritt. Erst mal nur passiv, ab 2016 dann aktiv.

Seit 2016 sind Sie Vorsitzender des Vereins, hilft es Ihnen dabei, dass Sie Lehrer sind?

Kolsdorf Tatsächlich, insofern als dass ich als Vorsitzender Dinge organisiere. Ein gewisses Organisationstalent sollte man mitbringen. Strukturieren und organisieren sollte man auch als Lehrer können. Und vor allem das zählt zu den Kernaufgaben des Vereins, Wissen vermitteln.

Wie ist es bei Ihnen, Herr Wittenberg?

Jörg Wittenberg Ich bin elf Jahre dabei und weiß sicher, dass ich über die Zeitung auf den Wissenschaftlichen Verein aufmerksam wurde. Ein Blick auf die Internetseite hat mich damals spontan überzeugt. Ich versuche, so viel wie möglich von den Vorträgen mitzunehmen, um zur Abwechslung den Kopf mit anderen Dingen zu füllen.

Wie sind Sie zum Amt des Vorsitzenden gekommen, Herr Kolsdorf?

Kolsdorf (lacht) Wie die Jungfrau zum Kind. Der damalige Vorsitzende, Herr Assert, hat mich angerufen, und mir gesagt, dass ein Vorsitzender gesucht wird. Aus dem damaligen Vorstand wollte das niemand übernehmen. Später habe ich erfahren, dass mein ehemaliger Schuldirektor mich empfohlen hat. Aber zunächst habe ich sogar abgelehnt.

Was hat Sie denn überzeugt?

Kolsdorf Die Programmplanung. Herr Assert hatte mich zur Vorstandssitzung eingeladen, in der das Programm des nächsten Halbjahres besprochen wurde. Und das Verfahren fand ich so faszinierend, dass ich mich zur Wahl gestellt und diese angenommen habe.

Was war so faszinierend an dem Verfahren, und wie entwickeln Sie das Vortragsprogramm?

Kolsdorf Wir haben neun Vorstandsmitglieder, und jedes Mitglied sammelt übers Jahr Ideen, Themen, aus welchem Bereich auch immer, und trägt diese in der Planungssitzung vor. Es wird diskutiert, der Inhalt grob erläutert, eventuell schon ein möglicher Referent genannt. Dann wird am Ende abgestimmt, und die Vorträge mit den meisten Stimmen werden dann ins Programm aufgenommen. Ein wirklich demokratisches Verfahren. Und, ganz wichtig: Derjenige, der den Vorschlag gemacht hat, kümmert sich um die Organisation.

Über was wird denn an einem solchen Vortragsabend gesprochen?

Wittenberg Da das Interessenspektrum unseres Vorstands vielfältig ist, spiegelt sich das in unserem Angebot wider. Dr. Dieter Liewerscheidt ist Literaturfachmann, Dr. Erwin Münch ist nur naturwissenschaftlich orientiert, andere kommen übers Radio hören und Zeitung lesen zu ihren Themen. Darüber generiert sich eine extreme Vielfalt, die auch ein Markenzeichen des Vereins ist.

Diese „wissenschaftlichen Vorträge“ werden von hochkarätigen Referenten gehalten, Doktoren, Professoren, Lehrende an Universitäten. Wie kommen die Verbindungen zustande?

Kolsdorf Per E-Mail. Ich weiß nicht, wie die Leute das früher gemacht haben, wobei es früher viele lokale Referenten gab. Heute haben alle Wissenschaftler über ihr Institut eine Homepage. Dann nimmt man Kontakt miteinander auf, bietet ein Telefonat an. Dann geht meistens alles schnell. Da wir unter Umständen auch mal eine Absage erhalten, können wir uns noch um eine Alternative kümmern. Über persönliche Kontakte kommen selbstverständlich auch Beziehungen zustande.

Sie betonen gerade, dass Sie selbstverständlich digital unterwegs sind. Aber Ihre Vorträge sind weiterhin analog, warum halten Sie daran fest?

Kolsdorf Es gab innerhalb einer Marketing-Analyse eine Umfrage unter den Mitgliedern. Die brachte zutage, dass es unseren Mitgliedern ganz stark auch um Austausch geht. Die wollen nicht nur konsumieren, sondern sie wollen sich miteinander auseinandersetzen über bestimmte Fragen, die der Vortrag noch aufwirft. Der Vortrag dauert normalerweise rund 45 Minuten, maximal eine Stunde, dann bleibt noch eine halbe Stunde Redezeit. Die dazu genutzt wird, untereinander und mit dem Referenten zu diskutieren. Das ist ein wesentliches Element, das Sie bei einem Youtube-Vortrag nicht haben.

Wie ist Ihre Mitgliederstruktur?

Wittenberg Wir haben knapp 200 Mitglieder. Die meisten sind über 50 Jahre. Tatsächlich haben wir in den letzten drei, vier Jahren auch jüngere Mitglieder, die jüngsten sind Teenager. Die sind aus eigenem Antrieb gekommen. Die beiden interessierten sich für Astrophysik und waren zum Vortrag über Stephen Hawking gekommen. Sie kamen nach dem Vortrag zu uns und wollten direkt beigetreten.

Welche Vorteile hat man als Mitglied?

Wittenberg Wie eben schon angesprochen, ich komme mit dem Referenten ins Gespräch. Dann hört man Vorträge zu Themen, die ich mir aktiv gar nicht ausgesucht hätte und erweitere mein Wissen und meinen Interessenbereich.

Kolsdorf Dann bekommen Sie frei Haus die Mitgliederinformation und haben einen finanziellen Vorteil. Für 40 Euro im Jahr können Mitglieder alle Vorträge umsonst hören, der Eintritt kostet pro Veranstaltung ansonsten sieben Euro. Ein weiterer Vorteil, den ich nicht kleinreden möchte, ist das Gefühl, etwas für einen alten, gutbürgerlichen Verein in Gladbach getan zu haben. Das verschafft Zufriedenheit, vor allem auch, den Verein an die nächste Generation weiterzugeben.

Das ist jetzt das Stichwort. Der Wissenschaftliche Verein ist einer der ältesten in der Stadt, gegründet 1850. Können Sie etwas über die Geschichte erzählen?

Kolsdorf Gegründet von naturwissenschaftlich interessierten Menschen, setzte sich der Verein in der Gründungszeit vor allem mit Fragen der Gesundheit und literarischen Themen auseinander. Anfangs war der Verein sogar an der Wasserversorgung der Stadt beteiligt. Zu Beginn wurden die Vorträge offensichtlich, da es in der Chronik dazu keinen Eintrag gibt, von den Mitgliedern gehalten. Das waren Oberlehrer, Kaufleute oder auch Menschen, die sich in ein Thema intensiv einarbeiteten und darüber referierten.

Wittenberg Faszinierend ist wirklich die Chronik der Vortragsthemen. Das ist ein Spiegel der Zeit. Man muss sich vor Augen halten, dass Charles Darwin ganz frisch war, als Professor Fuhlrott, der Entdecker des Neanderthalers, und Alfred Brehm 1874 selbst in Gladbach Referent war. In den 1870ern geht es weg von liberalen hin zu imperialen Themen.

Kolsdorf Was an dieser Stelle nicht verschwiegen werden sollte: In den 1930er Jahren hat sich der Verein auch gleichschalten lassen. Da spielten rassistische Themen eine Rolle. 1932 hat zum Beispiel Lettow-Vorbeck etwas über die Notwendigkeit der Kolonien erzählt. Dann kamen unter anderem national-sozialistische Themen. 1947 wurde der Verein mit Genehmigung der britischen Behörden wiedergegründet, mit Auftrag der Stadt zur Fortbildung.

Dann haben sich die Ziele des Vereins seit knapp 175 Jahren nicht geändert?

Kolsdorf Richtig, es ging immer um die Wissensvermittlung. Wir sind eben kein Verein von Wissenschaftlern, sondern von Bürgern, die an Wissenschaft interessiert sind und die Freude daran haben, sich mit wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen und diese weiter zu vermitteln. Der Name kann da schon einmal etwas irreführend sein.

Hat Ihr Verein auch ein Motto?

Kolsdorf Das haben wir uns nach der Marktforschungs-Analyse gegeben: „Aus Freude am Wissen“. Und das trifft 100 Prozent zu und ist unser Markenzeichen.

Sie betonen jetzt immer die wissenschaftliche Ausrichtung. Finden Sie die Vorträge nicht manchmal etwas zu theoretisch und verkopft?

Wittenberg Nicht jeder ist mitreißend in seinen Vorträgen, das mindert aber nicht zwingend die Qualität. Es fordert nur umso mehr den Zuhörer.

Kolsdorf Ich verstehe auch nicht alles. Ich habe aber auch nicht den Anspruch, alles verstehen zu müssen, sondern ich will Einblicke in mir ansonsten unbekannte Welten haben und nachfragen können. Das ist die Möglichkeit, sich breitest möglich zu bilden. Das sehen die meisten Mitglieder auch so.

Mitglied kann jeder werden, Sie sprachen davon. Werben Sie aktiv Mitglieder?

Wittenberg Jeder von uns wirbt Mitglieder in seinem Kreis potenzieller Interessenten, zunächst für Vorträge, dann auch für die Mitgliedschaft. Als Verein werben wir nicht großartig aktiv. Das ist letztlich eine Kostenfrage. Wir können keine Inserate schalten, wenn wir gleichzeitig die Qualität der Vorträge halten wollen.

Wie viele Besucher und Gäste besuchen Ihre Vorträge?

Kolsdorf Generell vor Corona bis zu 80 oder 100, zum Teil mussten wir noch Stühle dazusetzen. Ansonsten momentan zwischen 50 und 60, davon immer auch fünf bis 15 Gäste.

Ihre Vorträge finden im Haus Erholung statt. Gibt es eine besondere Beziehung zu diesem Haus?

Kolsdorf Die Beziehungen entstanden über Mitglieder, die auch in der Gesellschaft Erholung tätig waren. Das hat eine ganz lange Geschichte, denn schon im 19. Jahrhundert fanden die Vorträge dort statt. Deswegen ist das bis heute unser Domizil.

Sind Sie von den dortigen Renovierungsmaßnahmen betroffen?

Kolsdorf Bisher nicht. Denn die Renovierungen finden im Kaisersaal statt, und wir mieten einen der Räume im Erdgeschoss. Wie es allerdings wird, wenn dort größere Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden, können wir jetzt nicht sagen. Alternativen überlegen wir schon.

Quelle: RP

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