„Aber warum muss immer erst ein Impuls von außen herhalten, um Druck auf Europa auszuüben?“, fragte Kaim. In der Tat haben die USA bereits in den Balkankriegen der 1990er-Jahre klar gemacht, was sie von Europa erwarten. Seitdem ist wenig passiert. Vielmehr herrscht immer noch der Eindruck, dass man – wenn es dann darum geht, eine sichere Zukunft zu gestalten und mehr Verantwortung zu übernehmen – sich unter dem Schutz der USA einfach in die Büsche schlägt. „Die Europäische Union (EU) und Europa insgesamt sind ein wirtschaftlicher Riese, aber politisch-militärisch ein Zwerg“, so Markus Kaim. Doch das hat Gründe. Denn man hat sich selbst einen rechtlichen Rahmen gesetzt, der eine eigene, souveräne Sicherheits- und Verteidigungspolitik nahezu unmöglich macht. Im Einzelnen: Der von den Mitgliedsstaaten beschlossene EU-Vertrag sieht keine europäische Armee vor, sondern regelt das Primat der NATO. Und das deutsche Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass eine Übertragung der in der Zuständigkeit der jeweiligen Mitgliedsstaaten liegenden Außen- und Sicherheitspolitik auf die Ebene der EU einer Volksabstimmung bedarf. „Insgesamt erachte ich den Weg hin zu einer vertieften europäischen Sicherheitsintegration als verbaut“, bilanziert Kaim.
Dennoch sieht er einen kleinen Hoffnungsschimmer: „Abseits einer gemeinsamen, europäischen Verteidigungspolitik haben sowohl die politische Entscheidung zu Waffenlieferungen an die Ukraine als auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf dem Gebiet der EU gezeigt, dass insbesondere Westeuropa einen eigenen Beitrag leisten kann.“ Reicht das und der neue Posten eines EU-Kommissars für Verteidigung dazu aus, dem politisch-militärischen Zwerg ein wenig Wachstum zu verschaffen? Jedenfalls mag man sich eines gar nicht vorstellen: Dass ein Europa mit 27 uneinigen EU-Mitgliedsstaaten und weiteren 20 weitgehend selbstständigen Ländern von außen angegriffen wird.