Mit einer Illusion räumte Sebastian Wolf nach seinem Vortrag über politische Korruption und ihre Bekämpfung auf: „Wir werden nie in einer korruptionsfreien Gesellschaft leben.“ Als Gast des Wissenschaftlichen Vereins hatte der Vorsitzende Ludolf Kolsdorf den Professor für Sozialwissenschaften an der Medical School Berlin im Haus Erholung begrüßt.
Wer geglaubt hatte, Wolf hätte ein Patentrezept gegen Korruptionsbekämpfung bei der Hand, der wurde enttäuscht, eben weil es sich um ein Gebiet handelt mit einer großen Grauzone und vielen Unwägbarkeiten. Das fängt schon bei der Frage an, was Korruption sei. Im deutschen Strafrecht gibt es den Begriff nicht. Bestechung, Vorteilsannahme, Veruntreuung oder Betrug sind mögliche Tatbestände eines korrupten Handelns. Die von Wolf gewählte Definition, wonach die Korruption der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil ist, lässt großen Handlungsspielraum. Nicht alles, was illegitim erscheine, sei auch illegal. Wolf brachte ein aktuelles Beispiel von Bundestagsabgeordneten, die in der Corona-Pandemie durch Masken-Deals große Gewinne machten. Haben sie sich korrupt verhalten? Strafrechtlich relevant sei ihr Verhalten jedenfalls nicht.
Je nachdem, wen man befrage, komme man zu unterschiedlichen Bewertungen. So stelle der Korruptionswahrnehmungsindex auf der Basis von Befragung von Experten der Bundesrepublik ein gutes Zeugnis aus, derweil eine Umfrage unter Bürgern zu einem anderen Ergebnis komme. Nicht nur der Begriff der Korruption sei diskutabel, auch über die Ursachen lasse sich streiten, so Weber. Es gebe die individuelle Ebene, die organisatorische Ebene und das Umfeld eines vermeintlich korrupten Menschen. „Letztendlich ist es die Entdeckungswahrscheinlichkeit, die einen Menschen veranlasst, seine Macht zu missbrauchen“, meinte der Sozialwissenschaftler. Wenn jemand glaube, sein unlauteres Handeln bleibe unentdeckt, sei die Bereitschaft groß. Auch seien die Folgen korrupten Handelns nicht immer erkennbar. Fehlleitungen von Geldern könnten es sein oder das Fließen von öffentlichen Mitteln in falsche Kanäle. Es sei fatal, Lobbyarbeit generell als Triebfeder von Korruption zu geißeln. Lobbyisten könnten Politiker bei der Entscheidungsfindung beraten. Und: „Es gibt auch nicht neutrale, ungebundene Organisationen, die Lobbyarbeit leisten“, gab Weber zu bedenken. Bedenklich würde es, wenn Lobbyarbeit als Korruption zur politischen Steuerungsbeeinflussung führe.
Deutschland sei auf einem guten Weg im Kampf gegen die Korruption, meint Wolf. Er erinnerte daran, dass in den 1980er- und 1990er-Jahren Bestechungsgelder deutscher Unternehmen an ausländische Staaten und Regierungen als selbstverständlich angesehen wurden, weil dadurch die deutsche Wirtschaft gefördert wurde. Jetzt gebe es ein gesetzlich normiertes Bestechungsverbot.
Die Bekämpfung der Korruption sei keine einfache Sache. Aber mit welchen Mitteln? Sensibilisierung für korruptes Verhalten, umfassende Transparenzregelungen, detaillierte Verhaltensrichtlinien, Schutz von Hinweisgebern in Behörden und Unternehmen, bessere Kontrollmechanismen sind nur einige Vorschläge, die Wolf nannte. Zugleich stellte er die Frage, ob die Korruptionsbekämpfung sich lohnt, wenn der Aufwand für den Staat höher ist als der verhinderte Schaden, den er durch die Korruption erleiden könnte.