Mönchengladbach
Psychologe Dieter Wälte sprach beim Wissenschaftlichen Verein über „Die Psychologie der sozialen Berührung“. Warum zwischenmenschlicher Kontakt so wichtig ist und was passiert, wenn Menschen Missbrauch erlebt haben.
Von Angela Wilms-Adrians
Auf Einladung des Wissenschaftlichen Vereins sprach der Professor für Klinische Psychologie und Persönlichkeitspsychologie der Hochschule Niederrhein über „Die Psychologie der sozialen Berührung – neurobiologische Hintergründe und psychische Folgen“. Dafür hatte Wälte anschauliche Praxisbeispiele mitgebracht. Er bezeichnete soziale Bindung als menschliches Grundbedürfnis und den Motor für zwischenmenschliche Beziehungen. „Wer als Kind keine Bindung erfährt, für den wird das Leben schwierig“, betonte der Referent.
Die Relevanz von Bindung habe in der Wissenschaft zur Frage geführt, ob sie ein biologisches Gegenstück hat. „Da hat man das Hormon Oxytocin gefunden“, sagte Wälte. Oxytocin werde bei sozialen Berührungen und Sex ausgeschüttet. Der Professor betonte die Bedeutung von Hautkontakten als wichtigen Impuls für die Entwicklung von Babys und Kleinkindern. Auch bei Erwachsenen seien Streicheleinheiten wesentlich für das Wohlbefinden. Gute Berührung baue zum Beispiel Stress ab, mindere Schmerzen und senke das Empfinden von Einsamkeit.
Ein Vergleich habe gezeigt, dass Frühchen, die im „Känguru-Sack“ am Körper getragen werden, bei gleicher Ernährung mehr Gewicht zulegen als Kinder im Brutkasten. Der Referent führte die Bedeutung der sozialen Berührung für die Kollektivität der Hirnareale aus. Bei frustrierenden Aufgaben könnte ein Handauflegen der Mutter Ängste des Kindes reduzieren. „Spannenderweise funktioniert das bei Pubertierenden nicht mehr. Vielleicht, weil sie autonom sein wollen“, so der Referent.
Der Alltag zeige Menschen, die gerne kuscheln und andere, die auf Distanz gehen. Unabhängig von kulturellen Unterschieden und persönlichem Temperament sei dafür die Biografie ein wichtiger Faktor. Nach negativen Berührungserfahrungen ließen sich Menschen nicht mehr gerne berühren, bewahrten aber die Sehnsucht danach. Als Missbrauchsbeauftragter ehemaliger Heimkinder der 1960er und 70er Jahre habe er von sexuell missbrauchten Klienten immer wieder gehört: „Das Schlimmste war, dass ich keine Nähe mehr ertragen konnte“. Da aber die Sehnsucht nach Bindung bestehen bleibe, entstehe eine kognitive Unstimmigkeit. „Das Dilemma führt zur physiologischen Erregung, sodass der Patient mehrere Störungen entwickelt“, erklärte Wälte. Die Therapie von Patienten mit traumatischen Berührungserfahrungen sei langwierig, eine medikamentöse Behandlung nicht möglich. „Ein Medikament ist nicht sozial“, betonte Wälte.
Quelle: RP